
Jüdische Friedhöfe in Tirol und Vorarlberg
Geschichte und Bedeutung
Der jüdische Friedhof, „bet kwarot“ (Haus der Gräber von „kewer“, Grab), auch „bet ha-chaijim“ (Haus der Lebenden), weist einige Besonderheiten auf, die mit den Gesetzen des Judentums zusammenhängen. So sind nur Erdbestattungen erlaubt. Aufgrund des Glaubens an die Auferstehung der Toten gilt die Unantastbarkeit jüdischer Gräber, sie dürfen nicht aufgegeben werden. Traditionellerweise gibt es nur Einzelgräber mit stehenden (aschkenasisch) oder liegenden (sephardisch) Mazevot (Grabsteinen) mit eingraviertem Namen des/der Verstorbenen und jenem des Vaters in hebräischer Sprache. Seit der Haskala (jüdische Auklärung) sind auch Inschriften in der Landessprache und Familiengräber üblich. Die Tahara (Totenwaschung) ist verpflichtend und wird in einem Taharahaus durchgeführt. Am Schabbat werden keine Begräbnisse durchgeführt und der Friedhof ist geschlossen. Die Männer tragen beim Aufenthalt im Friedhof eine Kopfbedeckung. Nach altem Brauch legt man einen Stein auf das besuchte Grab und wäscht sich nach dem Verlassen des Friedhofes die Hände.
Wo Juden in mehreren Generationen lebten, waren daher zur Wahrung der religiösen Vorschriften jüdische Friedhöfe erforderlich. Sie bildeten in Tirol und Vorarlberg bis ins 19. Jahrhundert die einzigen öffentlich sichtbaren jüdischen Einrichtungen (Ausnahme: Hohenems). Urkundlich schon früh nachgewiesen sind sie in Bozen, Lienz und Innsbruck, sehr wahrscheinlich gab es ab dem 14. Jahrhundert auch Friedhöfe in Trient und Meran. Mit der Ausweisung der Juden 1476 mussten sie alle aufgegeben werden. 1614 wurde in Bozen ein neuer Friedhof angelegt, 1617 jener in Hohenems. Diese beiden sind noch in Betrieb und dokumentieren eindrücklich das jüdische Leben im alten Tirol.
Es finden sich neben dem historischen, nicht mehr aktiven Friedhof in Innsbruck (Judenbichl) insgesamt vier aktive im historischen Raum Tirols: in Innsbruck, Hohenems, Meran und Bozen. Weiters findet sich in Seefeld eine Gedenkstätte mit beigesetzten, namentlich unbekannten Opfern der Shoa.
Der Friedhof
in Hohenems
Eines der eindrucksvollsten Zeugnisse jüdischen Lebens im historischen Tirol.
Der Friedhof
in Bozen
Der älteste heute noch aktive jüdische Friedhof in Tirol befindet sich in Bozen.
Der Waldfriedhof
in Seefeld
Berührende Erinnerung an den Todesmarsch jüdischer Häftlinge vom KZ Dachau in die "Alpenfestung" Tirol.
Der Judenbichl
in Innsbruck
Der alte jüdische Friedhof von Innsbruck, fast vergessen, heute ein gelungenes Denkmal.
Vorarlberg
Der jüdische Friedhof
in Hohenems
Der jüdische Friedhof in Hohenems ist ebenso alt wie die erste Ansiedlung von Juden im Jahr 1617, als Graf Caspar von Hohenems 12 jüdische Familien aus Süddeutschland und der Schweiz (Rheineck) in seiner Reichsgrafschaft aufnahm. Er wies ihnen dabei auch ein Stück Land im so genannten ‚Schwefel‘, am Südrand von Hohenems zu, das sie für jüdische Begräbnisse nutzen konnten. Insgesamt dürften weit über 500 Gräber auf dem Gelände liegen. 370 Grabsteine sind bis heute erhalten geblieben. Der Friedhof wird heute noch genutzt. Viel Wissen über den Friedhof ist dem Gemeinderabbiner Aron Tänzer (1871-1937) zu verdanken, der die Gräber katalogisiert und planlich verortet hat.
1938 wurde der Friedhof von der Marktgemeinde Hohenems beschlagnahmt, 1952 der Rechtsnachfolgerin der Hohenemser IKG, der neu gegründeten IKG für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck, rückerstattet, die ihn 1954 einem Erhaltungsverein in St. Gallen um eine Spende von 10.000,- Schilling schenkte. Der Verein wird von Nachkommen der Hohenemser Jüdischen Gemeinde getragen, der sich seither mit viel Engagement um den Friedhof kümmert. Durch ihren Einsatz ist es gelungen, die von der Gemeinde beabsichtigte Räumung des Friedhofes zu verhindern. Es fanden in den letzten Jahren aufwendige Restaurierungen statt. Die im Jahr 2024 herausgegebene Publikation „Es werden leben Deine Todten“ berichtet im Detail über die Geschichte der 400 Jahre alten Ruhestätte.
Südtirol
Der jüdische Friedhof in Bozen
Bereits im Jahr 1431 ist in Bozen ein Friedhof erwähnt, und zwar im Garten der damaligen Propstei. Er musste 1476 aufgrund der Vertreibung aller Juden aus Tirol aufgegeben werden und wurde in den christlichen Friedhof eingegliedert. Im 16. Jahrhundert ist in der Nähe der Talfer, beim sogenannten Ziegelstadel, ein weiterer jüdischer Friedhof bezeugt. Schließlich wird 1614 der heute noch verwendete Friedhof im Vorort Oberau (Bozen Süd) durch Ankauf des Kaufmannes Gerson angelegt.
In den 30er Jahren der 20. Jahrhunderts wurde der Friedhof erweitert und durch ein Aufbahrungshaus ergänzt. Der jüdische Friedhof in Bozen ist damit der älteste, heute noch in Verwendung befindliche im historischen Raum Tirol. Hier findet sich unter anderem die Grabstätte der im ausgehenden 19. Jahrhundert einflussreichen Familie Schwarz. Das älteste, heute noch erhaltene Grab stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Auch dieser Friedhof, der sich heute innerhalb des städtischen Friedhofes Bozen befindet, ist für die Öffentlichkeit geschlossen, kann aber auf Nachfrage in der Jüdischen Gemeinde Meran besucht werden.
Seefeld
Der Waldfriedhof in Seefeld
In den letzten Kriegstagen wurde das KZ Dachau „evakuiert“ und mindestens 1.700 Juden wurden mit der Eisenbahn in die „Alpenfestung“ nach Seefeld geführt. Da der Zug wegen eines Bombenschadens auf der Strecke nicht nach Innsbruck fahren konnte, mussten die Häftlinge zu Fuß Richtung Telfs marschieren. Ein Teil kehrte auf Befehl von Gauleiter Hofer nach Seefeld zurück, ein Teil konnte sich von den Bewachern befreien und ein Teil wurde bis zum Telfer Bahnhof eskortiert, teilweise mit dem Zug bis Ötztal Bahnhof.
Amerikanische Soldaten beendeten von Scharnitz aus anrückend den Transport, für Dutzende der völlig entkräfteten und abgemagerten Häftlinge kam aber die Befreiung zu spät. Im 1947 errichteten Waldfriedhof in Seefeld sind 63 der Opfer dieses Todesmarsches begraben, die aus den von den örtlichen Bauern errichteten Sammelgräbern exhumiert und hierhergebracht wurden.
Wie viele Menschen insgesamt umkamen, ist unbekannt. Seit der Renovierung des Friedhofes 1978 erinnert eine Gedenktafel an die Opfer und 2016 wurde nach einem Entwurf von Architekt Michael Prachensky eine Gedenkstätte mit 63 Würfeln aus Kunststein errichtet. 2020 fand hier 75 Jahre nach den grausamen Geschehnissen eine kleine Gedenkfeier statt.
Innsbruck
Der Judenbichl als alte Begräbnisstätte in Innsbruck
Wann auf dem Judenbichl die ersten Gräber angelegt wurden, ist unbekannt. Urkundlich erstmals erwähnt wird der Friedhof 1503. Im Jahr 1598 erhielt Samuel May von Erzherzogin Anna Katharina die Erlaubnis, seine Nachkommen auf dem Judenbichl, wo „der Juden alte Grabstätte war“, also vermutlich seit dem 14. Jahrhundert, beerdigen zu lassen. 1627 wurde der an der alten Straße zwischen der Weiherburg und Mühlau gelegene, weit außerhalb der Stadt befindliche Friedhof vergrößert. Er wurde quadratisch in einer Seitenlänge von rund 20m angelegt und mit einer Mauer umfriedet. Mehrmals in seiner Geschichte kam es zu Schändungen und Verwüstungen, zuletzt zweimal kurz vor seiner Auflassung.
1864 wurde die letzte Bestattung durchgeführt, und zwar für den Bierbrauer Martin Steiner. 1880 wurden die Mauern eingerissen und der Platz eingeebnet. Ab 2007 wurde der Ort, der in zahlreichen historischen Karten eingetragen und auf alten Fotografien aus der Jahrhundertwende noch in seinen Umrissen zu erkennen ist, erforscht. Archäologen stellten die genaue Lage des Friedhofs fest. Nach den Entwürfen des Architektenehepaares Ida und Reinhard Rinderer wurde die Lage der Umgrenzungsmauer mit Stahlplatten aus Cortenstahl markiert. Eine Gedenktafel weist auf den Ort hin. 2009 wurde die Gedenkstätte feierlich eingeweiht.